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Achtsamkeit

Wertfreie Wahrnehmung

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2017 kam ich in einer geführten Körperreise erstmals mit der wertfreien Wahrnehmung in Kontakt. Da ich zu Hause häufig diese Art der Reisen machte, dachte ich, dass das kein Problem für mich sei. Bis ich dann vom „Profi“ gesagt bekam, dass ich mit jeder meiner Wahrnehmung eine Wertung abgab. Mich hat das schockiert. Auch weil es für mich bedeutete, dass ich all die Jahre „falsch geübt“ hatte.

Die Wand in meinem Rücken, die sich warm anfühlte („warm“ ist eine Wertung), die Autos, die draußen vorbei rasten (das „Rasen“ ist ebenso eine Wertung wie zu behaupten, dass die Geräusche von Autos stammen – wirklich WISSEN kann ich es in dem Moment nämlich nicht), der harte Boden unter meinen Füßen – all das sind Bewertungen.

Zu erkennen, wie alltäglich Bewertungen sind, selbst dann wenn wir glauben, völlig unvoreingenommen und wertfrei zu handeln, hat mich überrascht und zugleich motiviert, mich mehr damit zu beschäftigen und besser darin zu werden. Ich glaube, dass eine wertfreie Wahrnehmung und Kommunikation insbesondere im alltäglichen Miteinander unfassbar wichtig ist.

Unweigerlich kam aber auch die Frage auf: Geht das überhaupt? Etwas einfach so wie es ist, ohne zu urteilen, ohne zu deuten und ohne zu interpretieren in seiner Gänze wahrzunehmen? Denn eigentlich können wir ja nur das, was wir irgendwann mal wahr genommen haben, auch (er)kennen. Nur dadurch, dass wir überhaupt wahrnehmen, können wir mit der Welt, mit unserer Umgebung interagieren, Entscheidungen treffen und richtig abwägen.

Es geht dabei allerdings nicht grundsätzlich darum, sämtliche Wertungen innerhalb unserer Wahrnehmung zu canceln und von heute auf morgen wertfrei durch die Welt zu laufen. Viele Bewertungen und Einschätzungen in unserem Leben sind sogar durchaus sinnvoll und wichtig für uns. Sie bewahren uns vor Gefahren, vor Fehlern, schenken uns neuen Mut, neue Erfahrungen und helfen uns, uns weiter zu entwickeln. Nur durch die Wahrnehmung können wir überhaupt zu uns selbst finden.

Wir müssen uns in der Gänze wahrnehmen und durchaus manchmal auch darüber urteilen, ob etwas gut oder schlecht für uns ist. Viel mehr geht es darum, auf den Prozess der Wahrnehmung und das WIE zu achten. Wie nehmen wir etwas wahr und was genau spielt sich in diesem Moment in unserem Kopf ab. Wir müssen uns mit unserer Wahrnehmung auseinandersetzen, um einige typische (negative) Bewertungen bemerken zu können.

Es ist nämlich völlig normal, dass wir werten/urteilen. Wir haben das nicht anders gelernt und tun es jeden Tag ganz automatisch. Nicht nur über andere, sondern auch über uns selbst. Oft fliegen uns urteilende Gedanken in den Kopf, gegen die wir uns kaum wehren können. Auch wenn wir es nicht wollen und eigentlich „klüger“ und toleranter sind.

Der Großteil von uns wird die Farbe rosa z.B. sofort einer Frau zuordnen und nur wenige würden auf die Idee kommen, dass rosa für einen Mann stehen kann. Sehen wir einen Mann mit einem hautengen rosa Shirt, finden viele das leider auch heute noch eher befremdlich. Eines von vielen bewertenden/abwertenden Urteilen, das viele beinah automatisch fällen.

Auch in der Bewertung und Interpretation der Aussagen anderer sind wir meisterhaft. Wir kreieren Probleme, wo gar keine Probleme sind. Beispielsweise indem wir das Verhalten anderer Menschen als persönlichen Angriff oder als bewussten Akt werten (z.B. das Auto, das uns absichtlich die Vorfahrt genommen hat, unser arrogantes Gegenüber das uns absichtlich ignoriert usw.).

Eigentlich meint die wertfreie Wahrnehmung, dass wir beobachten, was wir sehen oder unmittelbar spüren können. Und nicht, dass wir uns damit beschäftigen, was wir denken, fühlen oder uns wünschen. Die größte Hürde besteht am Anfang darin, dass wir Wahrnehmung und Interpretation voneinander trennen. Bemerken, wenn wir urteilen, deuten und interpretieren und uns eingestehen, dass unsere Urteile subjektiv sind.

Es gibt kein reines gut oder schlecht, kein halbvoll oder halbleer, nichts halbes und nichts ganzes, nur schön und nur hässlich, nur gut oder nur schlecht, sondern grundsätzlich zwei Seiten der Medaille. Weil wir alle uns unterscheiden in dem was wir denken, wahrnehmen und urteilen.

Wir werden niemals komplett wertfrei sein (meine Theorie, beweist mir gerne das Gegenteil), aber wir können lernen, weniger häufig zu werten und insbesondere zu voreilig zu urteilen. Mit viel Arbeit kann es uns gelingen, negative/unfaire/schlechte Werte zu etwas Positivem umzukehren und Abstand zu unseren Bewertungen zu erhalten.

Ich möchte das künftig auf jeden Fall trainieren. Eingefahrene Strukturen in meinem eigenen Denken aufzulösen und einige (Vor-)Urteile aufzulösen tut sicherlich gut. Allerdings merke ich auch, dass es ne unwahrscheinlich schwere Aufgabe ist, weil das Werten so sehr zum Alltag gehört und von mir bisher nie ernsthaft hinterfragt wurde.


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3 Antworten auf „Wertfreie Wahrnehmung“

Hey,
ich bin gerade zufällig über deinen Artikel gestolpert und möchte kurz meine Erfahrung teilen. Etwas komplett rein wahrzunehmen, ohne einen geistigen Filter davor, ist schwer. Unser Verstand projiziert quasi jederzeit vergangene Erfahrungen oder zukünftige Vorstellungen in den gegenwärtigen Moment herein, wodurch Bewertungen entstehen. Manchmal ist es sehr offensichtlich, meist aber eher subtil, auf einer unterbewussten Ebene. Dieses Projizieren zu unterbinden, um die Welt wie ein neugeborenes Kind zu sehen (die Analogie gefällt mir ganz gut :D), ist dennoch möglich. Um genau zu sein glaube ich, dass es der natürlichste Zustand ist, in dem man nur sein kann. Komplett im Hier und Jetzt, reines Sein. In tiefer Meditation, Verbundenheit mit der Natur oder einfacher Achtsamkeit bei dem, was man gerade macht, lässt sich manchmal ein Einblick in diesen zeitlosen Zustand erhaschen.

Liebe Grüße,
Valentin

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