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Selbstfürsorge

Warum etwas mehr Pessimismus uns nicht schadet

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der es kaum Pessimismus gab. Bis mein Vater und mein Opa starben, bin ich der festen Überzeugung gewesen, dass ein „Das wird schon“ oder „Das kriegen wir hin“ beinah alle Wunden heilt. Ich hatte nie das Gefühl, dass es nicht mehr weiter geht. Nicht zuletzt auch, weil es eben immer weiter ging und ich diesen positiven Gedanken nie hinterfragen musste.

Ich habe nie wirklich pessimistische Gedanken gehabt, sondern bin absolut felsenfest davon ausgegangen, dass nichts Schlimmes passieren wird und falls doch, würde es zu meistern sein. Eigentlich eine tolle Sache. Ich hatte ein unbeschwertes Leben.

Und doch glaube ich, dass sich meine Ängste und Panikattacken zu einem Teil durch unterdrückte Ängste und Zweifel und den „gesunden Pessimismus“ breit machen konnten.

Irgendwas in mir wusste, dass ein „Das wird schon“ nicht allgemeingültig ist und hat entsprechend versucht, aus mir auszubrechen. So positiv und witzig mein Leben auch immer war, so sehr hat mir, für ein gesundes (Gedanken-)Leben, der Teil gefehlt, der mich lehrte, dass das Leben nicht immer positiv verläuft.

Hin und her gerissen zwischen den Gefühlen

So wie die Oma meines Mannes nicht mehr an Gott glauben wollte, nachdem ihr Mann und ihre drei Söhne starben, ging es mir mit meinem Optimismus, als mein Vater starb.

Plötzlich vermutete ich überall etwas Schlimmes und hatte regelrecht Angst davor, positiv an etwas heran zu gehen. Jeder Anruf, jedes Türklingeln, jeder unangekündigte Besuch war für mich so schlimm, wie der Moment, in dem es nachts an der Tür klingelte und mein Bruder dort stand, um mir zu sagen, dass unser Vater gestorben ist.

Ich hatte panische Angst, die mit meinen früheren Panikattacken und Ängsten absolut nicht vergleichbar war. Und ich wollte unter keinen Umständen an ein „Das wird schon“ oder „Das kriegen wir hin“ mehr glauben. In keiner Situation.

Nach einem so schicksalshaften Ereignis ist das sicher auch normal. Dennoch war das der Punkt, der dazu führte, dass sich meine Sichtweisen langfristig änderten. Rund acht Monate nach dem Tod meines Vaters fing ich an, erneut umzudenken. Mein Artikel „Carry on, Frohnatur!“ beschreibt gut, was sich in dieser Zeit geändert hat.

Dieses Umdenken war gut und wichtig, aber trotzdem sehe ich es heute nochmal anders. Bei mir gab es immer nur eins von beiden. Entweder ich habe positiv gedacht oder ich habe negativ gedacht. Hin und her gerissen zwischen diesen so gegensätzlichen Gefühlen zu sein ist ein fieses Gefühl.

Und erst jetzt habe ich die Lösung für dieses Problem gefunden. Ich bin die Frohnatur von damals, aber ich erlaube mir auch einen gesunden Pessimismus bzw. Realismus. Es hat mich viel Kraft und Arbeit gekostet, um zu begreifen, dass wir einerseits zwar mit unseren positiven Gedanken unser Leben positiv beeinflussen können, dass wir andererseits aber durch vermeintlich „negative“ Gefühle und Gedanken erst das große Ganze betrachten können.

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Das Leben hat zwei Seiten

Das Leben hat immer zwei Seiten und ich bin mittlerweile fest davon überzeugt, dass wir beide Seiten nicht nur brauchen, sondern auch beachten sollten. Nur wenn wir die negativen Seiten zu schätzen, zu beachten und anzunehmen lernen, können wir überhaupt erst Probleme wirklich wert schätzen.

Schaut Euch an, wie im Alltag mit Problemen umgegangen wird. „Kopf hoch!“ „Wein nicht!“ „Du musst nur positiv denken!“ „Das wird schon!“ „Mach Dir nichts draus“ sind nur einige der bedeutungslosen Floskeln, mit denen wir uns täglich umgeben.

Wer ein Stück weit „pessimistisch“ denken kann, wer das zulässt, der kann aus meiner Sicht erst wirklich mitfühlen. Der weiß, dass ein „Wird schon“ oder „Kopf hoch“ ’nen Scheiß bringt oder verändert. Der weiß, dass es manchmal eben doch nicht mehr wird, dass die Welt nicht immer toll ist und dass es darauf aber gar nicht ankommt.

Etwas weniger zu hoffen und auch mögliche schlechte Seiten im Blick zu halten schadet uns absolut nicht, sondern schärft unsere Weitsicht und unser Mitgefühl. Wir sollten uns nicht auf die eine Seite schlagen (und dabei unweigerlich die andere Seite aus den Augen verlieren oder gar ignorieren), sondern im gesunden Austausch sowohl dem negativen, als auch dem positiven Anteil in uns genügend Raum geben, um realistischer in dieser Welt umher zu wandeln. Gutes und Schlechtes gleichermaßen zulassen und auch wieder loslassen können.

Träumen und trotzdem den steinigen Weg sehen

Ich bin eine träumende Frohnatur, die dennoch im Blick hält, wie steinig und lang Wege werden können. Das ist es, mit dem ich persönlich am besten fahre. Dadurch, dass ich mir alle Möglichkeiten vor Augen führe (ohne dabei zu übertreiben), wird erst ein gesunder, realistischer Blick möglich und so konnte ich auch meine Ängste deutlich reduzieren.

Statt ausschließlich danach zu streben, positiv zu denken und nach vorne zu schauen (und dabei mit dämlich aufgesetztem Grinsen durch die Welt zu rennen), sollten wir vielleicht einfach versuchen einen gesunden Mix zu finden und auch negative Vorstellungen, Gedanken und Gefühle anzunehmen, anstatt sie ausschließlich zu verteufeln, um den Blick für das große Ganze nicht zu verlieren. Amen. 😆


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4 Antworten auf „Warum etwas mehr Pessimismus uns nicht schadet“

Liebe Sanny,

zunächst einmal – auch wenn Du das bereits weißt: ich hätte Dir und Deiner Familie so sehr gewünscht, dass Euch diese Erfahrung des Verlustes erspart geblieben wäre. Da gibt es nichts Positives dran zu finden oder „schön zu reden“. Punkt.

Was Deinen Kernsatz „dass etwas mehr Pessimismus uns nicht schadet“ betrifft, bin ich jedoch nicht so ganz bei Dir. Ich würde es eher als Realismus sehen. Zum Realismus gehört, Situationen mit all ihren positiven sowie negativen Seiten wahrzunehmen. Ein Versuch, weder zu romantisiert noch zu schwarzseherisch zu sein. Klar schützt uns ein gesunder Realismus (z.B. im Sinne von: „irgendwann wird jeder Mensch sterben“) nicht vor Erfahrungen, die uns in unseren Grundfesten erschüttern (z.B. der plötzliche Tod eines geliebten Menschen). So eine Sichtweise macht uns aber offener für alle Seiten der Medaille.
Von Pessimismus halte ich persönlich nicht viel: er blockiert uns, verhindert (positive) Erfahrungen.

Vielleicht sind wir mit unseren Ansichten ja auch gar nicht so weit auseinander und es ist nur eine Definitionssache 😉

Ich wünsche Dir jedenfalls weiterhin einen offenen „Weltblick“ und noch viele positive Erlebnisse in Deinem Leben, die schwerwiegender sind als die negativen und diese somit verblassen lassen.

Herzliche Grüße

Liebstes Häselchen 😀

ich scheine „Pessimismus“ und „Realismus“ anders zu interpretieren, als der Großteil der Menschheit. Für mich entsteht Realismus dadurch, dass sich Pessimismus und Optimismus die Waage halten (das wollte ich mit dem Artikel aussagen: find deine innere „Waage“ beider Lebenseinstellungen, und meine dass ich das am Ende des Artikels auch so sage). Gesunden Pessimismus verstehe ich nach der ursprünglichen Definition, nämlich eine Lebenseinstellung, in der man nichts Gutes erwartet oder erhofft. Erst als echter Pessimist denkt man aus meiner Sicht dann nicht nur an nichts Gutes, sondern sogar ausschließlich nur an schlechtes. Wenn ich aber einen gesunden Pessimismus in meinen Optimismus einfließen lasse, wirds realistisch. So meinte ich es. Wir sind also eigentlich total nah bei einander 🙂
Glaube viele sehen den Begriff „Pessimismus“ einfach zu negativ bzw. ist der Begriff an sich zu negativ besetzt weil es in unseren Köpfen eben nur den negativen (HA!) Pessimismus gibt. Genau deshalb (weil ich es anders definiere bzw. auch nicht grundsätzlich negativ empfinde) hab ich das Wort auch so gewählt und nicht sofort von Realismus gesprochen. Auf jeden Fall also eine Definitionssache 😀

[…] Ich möchte lernen, meinen Schattengefühlen Raum zu geben. Wut, Trauer, Verletzung, Scham, Neid, Angst, Hilflosigkeit, Ohnmacht (…). Mir vor allem zu erlauben, wütend zu sein, wenn ich wütend bin. Traurig zu sein, wenn ich traurig bin. Abneigungen zulassen, wenn ich sie spüre. Solche Gefühle nicht wegzulächeln mit einem “Alles wird gut.”. Auch mal pessimistisch sein. […]

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