Eine Sache in meinem Leben ist mir über die Jahre immer klarer und immer wichtiger geworden: Ich möchte nicht nur für das Wochenende leben. Ich möchte nach Möglichkeit keiner dieser Menschen (wie mein Vater, siehe unten) sein, der mind. 40 Stunden pro Woche sein Leben lang arbeitet, um… ja um was denn eigentlich? Etwas mehr Geld zu haben und dafür keine Freizeit?
In Deutschland darf man das nur selten laut sagen. Viel zu viele Menschen sind meiner Erfahrung nach immer noch der festen Überzeugung, dass nur ein Leben voller Arbeit ein erfülltes Leben ist und alle, die sich gegen diese Arbeitswut stellen, faul sind.
Und damit wir uns nicht missverstehen: Ich bin mir meiner Privilegien sehr bewusst, die es mir überhaupt erst ermöglichen, mich diesem Thema in dieser Weise zu widmen. Ich spreche ausschließlich aus meiner Erfahrung und möchte wie immer nicht für die Allgemeinheit sprechen. Also nicht für die, die so viel arbeiten müssen, um zu überleben und die ggf. keine andere Wahl haben oder für die, für die Beruf = Lebenserfüllung ist.
Nur wer hart arbeitet, erreicht was.
Ohne Fleiß keinen Preis. Von nichts kommt nichts. Erst die Arbeit dann das Vergnügen. Ora et labora. Arbeit adelt. Arbeit macht das Leben süß. Nach getaner Arbeit ist gut ruh’n. Müßiggang ist aller Laster Anfang.
Wie unglaublich negativ „Müßiggang“ besetzt ist und wie viele Menschen nach der Anzahl der Stunden, die sie pro Woche oder Monat arbeiten (oder eben nicht arbeiten), be- und sogar verurteilt werden, macht mich stutzig und manchmal sogar traurig.
Zwar befinden wir uns in einer Zeit, in der ein Umdenken statt findet und weniger arbeiten immer häufiger ein (positives) Thema ist, aber mein Mann und ich werden trotzdem beinah täglich mit den Vorurteilen der Menschen konfrontiert. Ich möchte Euch hier „meine Geschichte“ erzählen und Euch an meinen Ansichten teilhaben lassen:
Ausbeutung ist an der Tagesordnung
Dass eine 40 (oder mehr) Stundenwoche nichts für mich ist, habe ich eigentlich schon in meiner Ausbildung gemerkt. Damals, beim Zahnarzt, habe ich oft von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends in der Praxis gestanden. Als ausgelernte Kraft habe ich dafür knapp 950€ raus bekommen. Mit 24 Urlaubstagen, von denen drei Wochen vom Chef verplant wurden. Überstunden und Arbeitskleidung wurden nicht bezahlt.
Ich hab den Job nie gewollt und nicht zuletzt deshalb, so schnell es eben ging, an den Nagel gehängt, aber es läuft in so vielen Bereichen sehr ähnlich ab. Der Großteil meiner Familie, meiner Freunde und Bekannten arbeitet nach dem selben Schema.
Mindestens 40 Stunden pro Woche, oft sogar noch deutlich mehr und am Ende des Monats ist nicht mal Kohle da, um ungeplante Ausgaben (wie z.B. Reparaturen) zu finanzieren oder sich wenigstens alle paar Jahre einen Urlaub zu gönnen.
Wofür arbeiten wir wirklich?
Die Frage die ich mir unweigerlich stelle: Wofür arbeitet man dann? Für sein Seelenheil? Nur weil die Gesellschaft das so will? Für vielleicht (!) ein bisschen Rente am Ende unseres Lebens? Wofür, wenn man sich nicht mal was leisten kann?
Richtig aufgerüttelt hat mich der plötzliche Tod meines Vaters und das damit verbundene Revue passieren lassen. 47 Jahre hat er gelebt. Davon locker 30 Jahre in Vollzeit gearbeitet. Oft auch am Wochenende, an Feiertagen, manchmal sogar zu Weihnachten und Silvester.
Es war nie so viel Geld da, dass wir uns „Gott weiß was“ hätten leisten können. Im Gegenteil gab es immer wieder Jahre voller Existenzängste. Mein Vater schlief regelmäßig vor Erschöpfung auf der Couch ein.
Wir hatten ein tolles Leben zusammen, versteht mich nicht falsch. Wir waren eine glückliche Familie, die eigentlich alles hatte, was man so braucht. Und wir haben viel schöne Zeit miteinander verbracht. Aber man musste und wollte mehr Geld verdienen, eben nicht nur, um die Familie zu ernähren, sondern natürlich auch, um sich etwas leisten zu können.
Oft war die Arbeit deshalb wichtiger.
Manchmal wichtiger, als die Zeit mit der Familie. Ein Stück weit sicherlich verständlich. Aber so spielte die Arbeit, nicht zuletzt weil mein Dad selbstständig war, in unserem Alltag eine sehr große Rolle. Auch beim gemeinsamen Essen oder zusammen sitzen sprach man über die Arbeit, da mein Bruder und meine Mutter ebenfalls in dem Betrieb arbeiteten.
Und dann ist auf einmal das Licht aus. Ein leben voller Arbeit, mit (wie ich finde) zu wenig Freizeit, wird einfach so ausgelöscht. Natürlich sitze ich dann hier und denke: Ist es wirklich notwendig, dass die Arbeit wichtiger ist, als Zeit mit dem, was einem lieb ist und was wirklich unersetzbar ist?
Arbeit ist mir nicht wichtiger, als mein Leben
Nach dem Tod meines Vaters lautete meine klare Antwort für mich persönlich: Nein. Nein, Arbeit ist mir nicht wichtiger als mein Leben. Solange ich die Möglichkeiten dazu habe, werde ich nicht mehr in Vollzeit arbeiten. Von 2014 bis 2018 habe ich in Teilzeit ca. 25 Stunden pro Woche gearbeitet. Danach habe ich mich selbstständig gemacht und arbeite weiterhin ca. 25 Stunden pro Woche.
Diese Entscheidung veranlasst entfernte Verwandte, Bekannte, Kollegen aber auch Leser und Leserinnen meiner Blogs regelmäßig dazu, mich für faul zu halten oder anders zu verurteilen.
Während ich in den Anfängen immer versucht hab, Rechtfertigungen zu finden, habe ich mit der Zeit gemerkt, dass viele das einfach nicht verstehen wollen. Weil sie eben (genau wie ich) ihre Überzeugungen haben. Weil Menschen, die weniger arbeiten, für sie per se faul oder naiv sind. Ich habe gelernt das zu akzeptieren und reagiere auf Anfeindungen dieser Art nur noch selten.
Viele Menschen stellen ihr eigenes Leben hinten an
Dennoch wurmt es mich. Mich wurmt dieses Thema, nicht weil die Menschen ihr eigenes Leben unter den „scheinbaren Fleiß“ stellen, sondern weil sie dasselbe von anderen Menschen erwarten. Für sie ist das viele Arbeiten etwas, das Fleißkärtchen in Form von vermeintlicher Anerkennung verdient. Dabei bleibt am Ende eines arbeitsreichen Lebens oft wenig übrig.
Oder wie viele Leute kennt Ihr, die ihre Rente, nach einem arbeitsreichen Leben, richtig auskosten konnten? Die viele, viele Jahre in ihrer Rente gemeinsam mit ihrer Familie verbringen konnten und bis zu ihrem Lebensende glücklich und zufrieden sind?
Ich kenne nur zwei Personen. Und denen gegenüber stehen mehrere Dutzend, die es wahlweise gar nicht erst bis zur Rente geschafft haben oder die im Rentenalter, trotz Jahrzehnte langer harter Arbeit, so wenig Geld haben, dass sie von Entspannung nur träumen können.
Deshalb gehe ich, solange wie für mich möglich, einen anderen Weg. Eben meinen. Welchen geht ihr?
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7 Antworten auf „Nicht nur fürs Wochenende leben“
Hallo Sandra!
Ein sehr wichtiges Thema, welches Du da anschneidest.
Jeder sollte für sich heraus finden, was ihn glücklich macht.
Manche finden diesen Weg eben halt einfach sehr spät oder gar nicht.
Mein Papa hatte großes Glück, mit 60 Jahren in Rente gehen zu können. Heute ist er 86 Jahre alt und fährt gerade mit meinem Freund in den Kur-Urlaub. Vor sechs Jahren haben wir meine Mama zu Grabe getragen. Das war ein großer Wendepunkt in seinem Leben. Doch auch den hat er gemeistert. Er hat eine neue Freundin (die Mutter meines Freundes) und genießt das Leben, so gut es geht.
Vielleicht gehört zu einem tollen Leben auch manchmal Glück dazu, dass einen früher oder später ereilt!
Die Frage ist, was der Mensch draus macht.
Liebe Grüße,
Natascha
Hey Natascha,
das mit deinem Vater klingt wirklich toll. Die Oma meines Freundes ist auch ein solches Exemplar. Mit 91 Jahren noch topfit und viel von der Rente gehabt.
Gibt also noch Hoffnung 😉
Hey Sandra,
seit ich dir auf Instagram folge denke ich sehr oft darüber nach nicht mehr Vollzeit zu arbeiten. Eben genau aus den Gründen, die du ansprichst. Wenn ich das anspreche (im Freundeskreis, in der Familie) dann stoße ich da auch auf Unverständnis. Ich kann verstehen, dass es Menschen gibt, die machen ihren Job wirklich gerne und für die ist das keine Arbeit wie ich sie sehe (mein Freund zum Beispiel. Der geht total darin auf und er selber empfindet das nie als Arbeit) und wenn es Mesnchen gibt, die das gefunden haben, dann finde ich das sehr bewundernswert. Aber ich habe diese Art von Job (noch) nicht gefunden. Gerade jetzt mit der Doppelbelastung durch das Abendstudium wünschte ich mir 5-10h unter der Woche mehr Freizeit. (Arbeite 40h und 15h in der Woche habe ich die Abendschule). Das Studium habe ich begonnen, damit ich mich für höhere Stellen bewerben kann mit denen ich für weniger Arbeitszeit das gleiche Geld verdiene.
Jetzt gerade würde ich in einer Teilzeitstelle nur etwas im Dreistelligen Bereich rausbekommen: So könnte ich mir nicht mal das normale Leben finanzieren… Also heißt es noch ein Jahr Zähne zusammenbeißen und dann auf die TZ hinarbeiten 🙂
Kennst du eigentlich den Song „Müßiggang“ von Bosse? Mit dem Lied leite ich oft meine Wochenenden ein 😀
Liebe Grüße
Nicole
Ich drück Dir die Daumen beim Zähne zusammen beißen. Die Doppelbelastung ist echt fies, kann mir das gut vorstellen. Ich arbeite ja jetzt nach der Arbeit auch noch, manchmal bis spät abends und eigentlich immer auch am Wochenende aber das ist trotzdem nochmal was anderes weils eben „für mich“ ist. Müßiggang kenne und liebe ich! Bosse ist eh so toll, mag den sehr 🙂
Hey Sandra, ich folge dir schon länger auf Insta und habe heute deine beiden Blogs entdeckt. Die Artikel gefallen mir sehr gut und du sprichst sehr viele Punkte an, die mich bewegen. Diesen Artikel finde ich sehr bewegen und er bringt mich erneut zum nachdenken. Momentan bin ich noch mit meiner unbezahlten Doktorarbeit beschäftigt und arbeite mit einer 50% Stelle im Beruf. Da kommen locker momentan 50-60h die Woche zusammen, da ich auch Nacht- und Wochenddienste habe. Auf dauer habe ich mir da irgendwie anders vorgestellt. Sehe da in meinem Beruf aber etwas schwarz. Es gibt quasi keine Überstunden, sondern man arbeitet einfach länger, was dann oftmals Arbeitstage mit 12-14h mit sich bringt. Bei meinem Mann ebenfall, trotz anderem Beruf. So sehen wir uns abends um 21:00 Uhr zum schnellen Abendsessen und gute Nacht sagen…
Liebe Frau Achtsamkeit,
du schreibst das du nur 25 Stunden arbeitest aus den erwähnten Gründen in deinem Beitrag.
Dann schreibst du das
:“Ich drück Dir die Daumen beim Zähne zusammen beißen. Die Doppelbelastung ist echt fies, kann mir das gut vorstellen. Ich arbeite ja jetzt nach der Arbeit auch noch, manchmal bis spät abends und eigentlich immer auch am Wochenende aber das ist trotzdem nochmal was anderes weils eben „für mich“ ist. Müßiggang kenne und liebe ich! Bosse ist eh so toll, mag den sehr 🙂!!!!!“
Du sagst es wäre trotzdem was anderes das du noch nebenbei also neben deinem Job von 25 Stunden jeden Abend bis spät abends und sogar an Wochenenden arbeitest….weil…..Es wäre ja für dich?????????
Ähm wir alle arbeiten 40 Stunden für uns🤷♀️…Es machtsehe viel Sinn nur 25 Stunden die Woche in die Rente einzuzahlen und nebenbei unversichert…anstatt sofort 40 Stunden..Somit auch Rentenbeiträge zu leisten.
Das war schon immer ein Problem…Lieber sich abrackern bis spät abends und an Wochenenden und sich wunder daddann keine gescheite Rente kommt. Du arbeitest jetzt sicher mehr als 40 Stunden inklusive Nebenjob…mit der Aussicht einer Minirente und dann dem Staat und dem arbeitenenden Volk auf der Tasche zu liegen. Jetzt lebst du vom Nebenjob so gut und hast viele Dinge nicht bedacht?????Oder doch und du suchst den Weg und willst glauben machen es sei der richtige?
Ich bin froh einer der Idioten zu sein und zahle brav ein.
Vielleicht findet sich ja mal dein Gegenstück den arbeitet ihr zusammen 50 Stunden 😱😱😱😱
Hallo Iwy,
danke für deine Gedanken und dein Interesse an diesem Thema.
In meinem Beitrag aus 2017 wollte ich keineswegs den Eindruck erwecken, dass die von mir gewählte Arbeitsweise die einzig richtige ist. Vielleicht habe ich das im Artikel nicht klar genug gemacht. Jeder Mensch hat individuelle Gründe und Lebensumstände, die seine Arbeitsentscheidungen beeinflussen.
Letztendlich gibt es ohnehin keinen universellen Ansatz, der für jeden passt. Jeder sollte und muss seine Entscheidungen basierend auf individuellen Bedürfnissen und Zielen treffen. Und wenn jemand den Weg wählt, den ich gegangen bin, dann ist es wichtig, sich über die Konsequenzen bewusst zu sein und gegebenenfalls eigene Vorsorge zu treffen.
Ich hoffe, dass deine Entscheidung für dich erfüllend ist und dazu beiträgt, dass du deine Ziele und Träume erreichen kannst.