Kategorien
Selbstfürsorge

Mein Leben passt in ein Smartphone (ich will das nicht mehr!)

Weil ich das Internet liebe und hasse. Weil ich es brauche und Unnütz finde. Weil es mir Spaß macht und mich nervt. Weil es mein Leben zerstört und bereichert.

Ich gehöre zu der Generation, die ein Leben ohne Internet und Smartphone kennen und die trotzdem damit groß geworden sind. Für mich ist das Internet kein Neuland. Ich blogge, seit ich 13 Jahre alt bin und teile einen Teil meines Lebens mit Fremden. 1998 hat man aber nur alle paar Tage am Computer gesessen, weil das Internet scheiße teuer war und man zudem unglaublich viel Geduld brauchte, um überhaupt rein zu kommen.

Heute ist das Internet überall.
Auf meinem Handy, auf der Arbeit, zu Hause, bei Freunden, in Cafés, in Einkaufszentren, in Hotels. Zwischen fast jede Begegnung schiebt sich ein Smartphone. Die erste Seite der Google-Ergebnisse ist unsere Realität. Sie weiß, welche Krankheit wir haben, wo Timbuktu liegt, wie man eine Bombe bauen kann, was gerade in der Welt passiert, wie das Wetter auf der ganzen Welt ist und wo ich wohne. Das Internet weiß mehr über mein Leben als meine Omma.

Ich arbeite im Internet. Ich verdiene mit und durch das Internet mein Geld. Ich kaufe hier ein. Ich lese hier. Ich spiele hier. Ich streite mich. Ich bin hier kreativ. Ich entfalte mich. Ich habe mich sogar hier verliebt. Ein Leben. Mein Leben, dass ich täglich im Smartphone mit mir rumtrage.

Das Internet verändert mein Leben.
Körper und Geist trennen sich voneinander. Während ich auf dem Klo sitze, in der Badewanne liege, mit einer Freundin im Café sitze oder mit meinem Freund auf der Couch liege, kann ich mit Menschen auf der ganzen Welt kommunizieren, kann virtuell durch die Straßen von London laufen oder in China einkaufen. Wir sitzen nebeneinander und sind doch Meilenweit voneinander entfernt.

Männer und Frauen filmen ihr gesamtes Leben und stellen es ins Netz. Selbst die Geburt des Kindes, Heiligabend im Kreise der Familie, der Hochzeitsantrag oder die ersten Schritte unserer Kinder werden festgehalten und geteilt. Täglich werden millionenfach ganz private Momente zerstört weil eine Person den Zauber einer Situation nur durch die Kamera sieht und anschließend mit jemandem teilt. Der Körper war anwesend, aber der Geist war ganz woanders.

Ich bin süchtig.
Wie bedenklich mein eigenes Verhältnis zum Internet ist, habe ich erst wirklich realisiert, als ich von einer Person darauf aufmerksam gemacht wurde. Während ich hier saß und die Familien bedauerte, die nicht mehr den Moment (er)leben und deren Leben durch das Internet verschluckt wird, musste ich erkennen, dass mein Leben im Grunde genauso „infiziert“ ist. Ich möchte die eine Situation, um die es in diesem Moment ging, mit Euch teilen:

Mein Freund und ich lagen nebeneinander im Bett. Ich fummelte am Smartphone rum, während er fern sah. Es ging mir nicht gut weil ich mich um jemanden sorgte und ich weinte. Er fragte mich was los ist und wollte mich tröstend in den Arm nehmen. Ich ignorierte ihn und winkte ab. So lagen wir weiter nebeneinander im Bett. Ich weinte und glotzte in mein Smartphone, er sah weiter fern.  Wir redeten kein Wort miteinander und standen am nächsten Tag auf, als wäre nichts gewesen.

All die verlorene Zeit und die zerstörten Momente.
Ein „Ist das immer so?“ und das anschließende „Das ist eine so traurig-bedrückende Situation“ sorgten für einen Kloß im Hals, den ich auch Wochen später noch mit mir herum trage. Ich dachte an all die verlorene Zeit, an all die zerstörten Momente.

Im Restaurant, wenn ich erst unser Essen fotografiere und anschließend überprüfe, wie das Essen bei den Lesern ankommt. Im Urlaub, den ich erst genießen kann, wenn genügend Likes meine Entscheidung bestätigen. Bei einem gemütlichen Abend auf der Couch, den ich zerstöre, in dem ich meine Tasse Tee und meine Wollsocken fotografiere, nur um … ja, was eigentlich?

Mein Leben passt in ein Smartphone Frau-Achtsamkeit.de

Ständig sitze ich hier und glotze auf mein Handy.
In der Hoffnung das etwas passiert, das mich unterhalten kann. Ich scrolle durch die Timeline, folge Menschen, deren Leben mich nicht interessiert, like wie fern gesteuert jeden Scheiß. Hier super healthy food, da ein verpixeltes Kindergesicht, dort ein paar Füße in der Natur und ein gestelltes Selfie.

Wenn ich es nicht tue, dann langweile ich mich und mir fehlt etwas. Beim Arzt im Wartezimmer Zeitung lesen? Sich während der Werbepause unterhalten? Auf einer langen Autofahrt als Beifahrer ein Buch lesen? Einfach mal den Moment genießen, statt ein Foto davon zu machen? Undenkbar. Immer habe ich das Gefühl, dass es ohne Smartphone nicht geht und das Gefühl, sofort alles teilen und danach die Reaktionen überprüfen zu müssen.

Zwar bin ich froh, dass es für mich Grenzen gibt, die andere täglich mehrfach überschreiten, so dass ich ein Gefühl von „SO schlimm ist es bei Dir wenigstens nicht“ habe. Aber im Gesamten ist mein Verhältnis, insbesondere zu meinem Smartphone, nicht gesund. Auch wenn ich niemals den Alltag mit meinem Kind, meine Hochzeit, unser ganz persönliches Weihnachten o.ä. online stellen würde, beeinflusst und beeinträchtigt meine Sucht (und es ist eine verdammte Sucht. Wer an dieser Stelle sagt „Naja aber ich kann ja auch ohne.“ hat vielleicht Recht und zeigt doch zugleich ein ganz typisches Suchtverhalten ) mein eigenes Leben und auch das Leben meiner Liebsten enorm.

Ich will das nicht mehr.
Das zu erkennen ist der erste Schritt in die richtige Richtung. Denn auch wenn das Internet so viele positive Möglichkeiten in mein Leben bringt. Mir die Möglichkeit gibt, hier mein Geld zu verdienen, mich auszuleben, mein Wissen zu erweitern und andere Menschen wie z.B. Euch positiv zu beeinflussen oder zu unterhalten, muss ich was ändern.

Achtsamkeit wird von vielen als esoterischer, alberner und tiefsinniger Hokuspokus verstanden. Aber in Zeiten, in denen mehr als die Hälfte unseres oder zumindest meines Lebens im Internet statt findet, braucht man sowas. Entspannung findet nicht mehr in Wellness-Hotels und Spas statt. Da gibt es schließlich WLAN. Wir entspannen uns erst, wenn das verfluchte Smartphone endlich mal aus ist. Das zu erkennen ist Achtsamkeit. Das zu verändern ist Achtsamkeit. Und damit fange ich jetzt an.

6 Antworten auf „Mein Leben passt in ein Smartphone (ich will das nicht mehr!)“

Du heute bin ich durch die Winterlandschaft gelaufen und mich unterhalten. Ich hab einzelnde funkelnde Eiskristalle gesehen, registriert das es arschkalt war und gemerkt wie mein Gesicht langsam taub wurde vor kälte. Ich hätte das alles nicht gemacht, hätte ich mein Smartephone dabei gehabt. Das lag zuhause und als ich alleine nach Hause gegangen bin, da wurd ich nervös. Richtig nervös und mir kam die Idee das ich kein Smartphone mehr möchte wegen dem was du oben sagtest.

Sehr schön analysiert und auf den Punkt gebracht! Internet, Facebook & Co. sind Fluch und Segen zugleich. Was bin ich froh, dass ich kein Smartphone besitze. Ich glaube nämlich, dass ich da auch anfällig wäre und bin echt glücklich darüber, dass ich so mehr das „real life“ genießen kann.

Liebe Grüße

[…] Artikel „Mein Leben passt in ein Smartphone“ hat Euch vor zwei Wochen nicht nur gut gefallen, sondern viele von Euch, ähnlich wie mich, […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert